Eigentlich bräuchte es gar kein Change Management. Immerhin zeichnet sich der Mensch durch seine natürliche Anpassungsfähigkeit aus – wir können uns an fast alles gewöhnen. In den von uns geschaffenen organisatorischen Strukturen scheint jedoch die Selbstverständlichkeit dieser Anpassungsfähigkeit zu schwinden. Besonders in der öffentlichen Verwaltung wird die natürliche Anpassungsfähigkeit häufig durch negative Gefühle wie Stress ersetzt, was die Notwendigkeit eines effektiven Change Managements unterstreicht.
Mit dieser Beitragsreihe tauchen wir ein in das Thema Change Management und erörtern, worum es beim Change Management im Kern geht. Dabei gewähren uns spannende Einblicke sowohl der erfahrene Change Manager und Professor Markus Kaiser, der Veränderungsprozesse zahlreicher Organisationen begleitet hat, als auch Verwaltungsinfluencerin, Podcasterin sowie langjährige Bundesbeamtin und Juristin Dr. Dorit Bosch, die inzwischen als Coach Behörden bei der Transformation unterstützt.
Veränderung ist mehr als nur ein Prozess- sie repräsentiert Wachstum.
Es besteht eine fast unsichtbare Verbindung zwischen Change und Wachstum, sowie zu dem häufig damit verbundenen Stress, wenn uns Veränderungen angekündigt werden. An dieser Verbindung sollte Change Management ansetzen, indem es einen Raum schafft, in dem Menschen nicht nur ihr eigenes Potenzial entfalten können, sondern auch aktiv zum Wachstum anderer beitragen. Das Ziel ist die Gestaltung einer Umgebung, die nicht nur die berufliche, sondern auch die persönliche Entwicklung fördert.
Stress als biologische Reaktion auf Veränderung
Um Veränderungen in der Außenwelt erfolgreich zu meistern, hilft ein tiefer Blick ins Innere. Hier verursachen Veränderungen oft den unsichtbaren Begleiter Stress. Doch was passiert genau im Körper, wenn Stress entsteht?
Die Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden freigesetzt: Sie bereiten den Körper auf belastende Stresssituationen vor. Dabei beschleunigt sich der Herzschlag und die Atmung; außerdem steigt der Blutdruck und der Blutzuckerspiegel.
Die Hirnregion Amygdala, das Angstzentrum, wird aktiv: Sie ist maßgeblich für das Stressempfinden verantwortlich und schaltet sich ein, wenn das Gehirn eine Situation als neu und potenziell gefährlich einschätzt. Die Amygdala löst die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol aus, welches das Verhalten beeinflusst: die Amygdala ist eng verbunden mit einem Teil des limbischen Systems, der wichtig für die Verarbeitung von Emotionen ist.
Die Amygdala startet die Stressreaktion: Erreicht die Nervenaktivität eine bestimmte Schwelle, aktivieren sich Kampf- und Fluchtreaktionen. Hormone und andere Botenstoffe sorgen dafür, dass der Körper mehr Sauerstoff und Energie erhält, um schnell zu handeln.
Stressabbau: Nach der Stresssituation entspannt sich der Körper, was essentiell für die Gesundheit und Regeneration ist. Beim Stressabbau hilft besonders Bewegung, Sport oder Schlaf.
Stress als unterstützender Mechanismus: Stress an sich ist erstmal nicht zwangsläufig negativ; er unterstützt den Körper dabei, belastende Situationen zu bewältigen und sich an Veränderungen anzupassen.
Was, wenn der Stress bleibt? Bei chronischem Stress führt jedoch ein konstant hoher Cortisolspiegel zu anhaltender Belastung und Überforderung, was Herz- Kreislauf- Probleme, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und ernsthafte Probleme verursachen kann.
Vom Schmerz zum Wachstum: die transformative Kraft der Veränderung
Mit den Erkenntnissen der Biologie wird es einfach nachzuvollziehen, warum es Change Management trotz der natürlichen Anpassungsfähigkeit doch braucht. Obwohl es zunächst den Anschein hat, dass Change Management Stress mit sich bringt, ist es wichtig zu verstehen, dass Stress nicht zwangsläufig vermieden werden sollte. Stress ist eine natürliche (Überlebens-)Reaktion, die oft mit Veränderungen einhergeht. Die Belastung führt zu biologischen und körperlichen Reaktionen, die oft mit Anstrengung oder emotionalem Schmerz verbunden sind.
Der Schmerz entsteht, wenn wir uns von Vertrautem lösen, er signalisiert jedoch gleichzeitig eine Phase des Wachstums. Die Angst vor dem Unbekannten begleitet diesen Prozess, doch sobald wir uns dem Unbekannten stellen, erkennen wir oft, dass Schmerz und Unsicherheit einen notwendigen Übergang verdeutlichen. Der Weg von Stress und Angst hin zu Wachstum und Transformation wird zu einem wesentlichen Aspekt, der die persönliche und berufliche Entwicklung fördert. Um die Übergänge von Vertrautem und Komfort hin zu Wachstum besser zu verstehen, schauen wir uns das Komfortzonenmodell an.
Leben in der Komfortzone?
Komfortzone: In der Komfortzone haben wir ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Dies ist ein Ort der Entspannung, der aber auch zu Stagnation führen kann.
Angstzone: Veränderungen werden angekündigt und die Notwendigkeit, die vertraute Komfortzone zu verlassen, löst oft eine Vielzahl von Ängsten aus.
Lernzone: Wenn wir die Lernzone erreichen, haben wir die Angstzone überwunden und gewinnen durch Herausforderungen und Möglichkeiten, Fähigkeiten für den erfolgreichen Umgang mit Veränderungen.
Wachstumszone: Durch aktive Teilnahme an der Wachstumszone erweitern wir kontinuierlich unsere Komfortzone, schätzen unsere Talente und entwickeln neue Fähigkeiten, um Veränderungen erfolgreich zu bewältigen.
Das Ziel des Komfortzonen- Modells ist es, Menschen dazu zu ermutigen, bewusst ihre Komfortzone zu verlassen und sich über die Lernzone in die Wachstumszone zu begeben, um persönliches Wachstum und Entwicklung zu erfahren. Die Idee ist, durch die Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen und dem Erlernen neuer Fähigkeiten die Grenzen der Komfortzone zu erweitern.
Auch in der Rolle als Führungskraft ist es entscheidend zu erkennen und anzuerkennen, dass es sich in einem Change-Prozess um einen Wachstumsprozess handelt, den die Mitarbeitenden durchlaufen. Es ist wichtig, dies zu akzeptieren und auch diejenigen einzubeziehen, die nicht sofort bereit sind, sich vollständig auf die Veränderung einzulassen.
Was ist dein Herzensprojekt?
In der Welt des Change Managements offenbart sich eine faszinierende Facette, wie Dr. Bosch verdeutlicht: Menschen sind im Grunde nicht gegen Veränderung, vielmehr zeigen sie eine natürliche Neigung zur Veränderung, sofern sie diese aus eigenem Antrieb gestalten können. Die Bereitschaft zur Veränderung liegt oft darin, dass Menschen nicht gerne von anderen oder über ihre Köpfe hinweg verändert werden. In diesem Zusammenhang gewinnt die Bedeutung von Motivation, Leidenschaft und positiver Energie enorm an Gewicht, die eine treibende Kraft in Change-Prozessen darstellen kann.
“Gleichgültigkeit ist wirklich der absolute Killer von Transformation.”
– Dorit Dr. Bosch
Die Erkenntnisse unterstreichen die zentrale Rolle der Aktivierung des Menschen im Change-Prozess. Hierbei betont Dr. Bosch die Wichtigkeit, nicht nur auf die Angst oder den Stress, sondern auf die Leidenschaft als treibende Kraft in den Vordergrund zu setzen. Diese Perspektive findet ebenso Zustimmung bei Professor Markus Kaiser, der hervorhebt, dass es entscheidend ist, die Menschen zu aktivieren und jedem eine Chance zu geben. In diesem Engagement liegt der Schlüssel zu einem erfolgreichen und mit Leidenschaft getragenen Change Management, sodass Change letztlich Wachstum bedeutet.
Bedeutung von klaren Zielen in Change-Prozessen
Das Ziel des Change Managements, nach Prof. Kaiser ist es, möglichst viele Mitarbeitenden innerhalb des Teams zu erreichen, doch es ist oft eine Herausforderung, alle restlos zu überzeugen. In diesem Prozess liegt die Kunst darin, die Begeisterung zu wecken und eine positive Energie zu schaffen, die das gesamte Team mit einbezieht. Dabei sind drei Ziele wichtig:
1. Überwiegende Zustimmung: In großen Veränderungsprozessen ist es wichtig, eine breite Überzeugungsbasis zu schaffen, auch wenn es unausweichlich ist, dass einige wenige Mitarbeitende nicht mitziehen.
2. Zeitlicher Rahmen: Die Dauer der prozessblockierenden Veränderungsphase sollte möglichst kurz gehalten werden, da die Produktivität während des Prozesses in der Regel abnimmt.
3. Nachhaltige Veränderung: Es ist entscheidend, sämtliche Vorzüge einer Veränderung, beispielsweise durch die Einführung einer neuen Software, optimal zu nutzen, um sicherzustellen, dass diese Veränderungen nachhaltig in der Organisation verankert und fest etabliert werden.
“Jede Veränderung erfordert von jedem Mitarbeiter mehr Kraft, man muss sich auf Neues einstellen, hat dann, ganz banal gesagt, wahrscheinlich Überstunden, die man machen muss. Da ist es oft viel wichtiger, menschliche Anerkennung wie Lob auszusprechen. Es geht nicht um Materielles, sondern um die absolut persönliche Anerkennung und Sichtbarkeit.”
– Prof. Markus Kaiser
Fazit
In unserer ständig wandelnden Welt begegnen wir Veränderungen unausweichlich – nicht immer als bewusste Entscheidung, sondern als natürlicher Verlauf. Veränderung ist meist mit Stress und Angst verbunden, und es kann schmerzhaft und kräftezehrend sein, sich zu verändern. Ein richtiges Change Management schafft es, über die negativen Seiten von Veränderung hinweg die transformative Energie des Wandels so zu bündeln, dass alle Betroffenen eine Gelegenheit zum Lernen und zum persönlichen Wachstum erkennen können, und sich trauen, diese zu ergreifen. Change Management bedeutet, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen ihre Potenziale entfalten können und aktiv zum Wachstum anderer beitragen. Diese Herangehensweise geht über die bloße Bewältigung von Veränderungen hinaus und wird zu einer Quelle des selbstgetragenen Wachstums.
In diesem Beitrag haben wir uns angeschaut, was Change Management wirklich ist. Wie Change Management in Strukturen, auf Projekten und in Veränderungsprozessen verankert, umgesetzt und gelebt werden kann, darum geht es in unserem Teil II über Change Management.
Die natürliche Anpassungsfähigkeit des Menschen wurde besonders in Zeiten der Corona-Pandemie deutlich, wo sich Menschen erfolgreich auf große Veränderungen eingestellt haben. In dieser umfassenden Perspektive entfaltet sich das Change Management als ein kraftvoller Motor für individuelles und kollektives Wachstum. Change ist Wachstum!
Unsere Empfehlung: Versuchen Sie alle Mitarbeitenden mitzunehmen, trotz negativen Gefühlen; ermöglichen Sie Chancen zu persönlichem und beruflichem Wachstum, indem Sie anderen Verantwortungen anvertrauen. Gehen Sie mit Kritikern in den offenen Dialog, um sie an Veränderungen Teil haben zu lassen, und um ihre Stimme zu erhören.
Weiterführende Links
Was tun, wenn Mitarbeitende Wachstumsschmerzen haben?
Change Management tut weh: Warum es wichtig ist aus schmerzhaften Fehlern zu lernen
Wie Sie an Herausforderungen wachsen
Kurzstudie NEGZ- Angst im Wandel & Angst im Körper
Change Management als Chance
Wie Gehirn und Hormone die Stressreaktion steuern
Komfortzone und Führungskultur